‘Aufbruch nach Preußen in stürmischen Zeiten‘.

Die Brautreise Der Prinzessin Luise von Mecklenburg –Strelitz während der Koalitionskriege im Jahr 1793.

Nacht in Darmstadt. Ein schmallippiger Mond, versteckt hinter Wolken, wirft fahles Licht auf das Darmstädter ‘Alte Palais‘, einen repräsentativen Adelssitz.
Hinter hohen Fenstern Bewegungen unruhiger Schatten in gedämpftem Licht,Treppauf- treppab.
Minuten später sprühender Funkenregen. Hasig werden Pechfackeln neben dem Eingang und den weit geöffneten Remisen aufgestellt. Es ist Freitag, der 13. Dezember des Kriegsjahres 1793, drei Uhr morgens, als plötzlich einsetzender Sirenenklang die Stille der Nacht zerschneidet. Entsetzte Rufe: „Die Altstadt brennt!“
Betriebsame Hektik auf dem Hof. Dienstbare Geister verstauen eiligst Holzkoffer, Schachteln und Körbe in bereit stehende Reisekutschen. Schon rast der Brunnenmeister mit einer von Pferden gezogenen Handspritze durch die nächtlichen Gassen. Aufgeschreckte Menschen rennen herbei und bilden lange Ketten mit Wassereimern, bis hin zum Brandherd. Rot leuchtet das Warnlicht des Brandmeisters. Flammen züngeln gierig an den Fachwerkbalken historischer Bauten. ‘Feuer, Feurio‘ hallt es vom Turm der Kirche. Der Stimmpegel steigert sich zu einem Entsetzensschrei, der immer näher kommt. Eine Gruppe von Frauen und Männern eilt aus dem Palais. Jetzt rennt noch ein Junge hinterher, seine Mütze in der Hand haltend, stürmt er auf die Gruppe zu, will als Erster die große Kutsche besteigen. Hastige Umarmungen, rührselige Szenen, Tränen, Abschiede. Schon knallt der Kutscher mit der Peitsche. Kies knirscht unter den Rädern und fliegt hoch.

Flatternde Taschentücher aus beschlagenen Kutschenfenstern, wie Flügelschläge weißer Tauben, die sich im rauchgeschwärzten Nachtimmel verlieren. Unüberhörbar das Rattern der Kaleschen, die, vom Palais kommend, durch die Kopfsteingassen poltern. Die Klänge des Glockenspiels der Stadtkirche mit der klagenden Melodie “Oh Jesus meine Zuversicht“ begleiten die Reisenden zum Stadttor hinaus. Die Karossen nehmen Fahrt auf in Richtung Würzburg.

Schemenhaft die Frauengesichter hinter den beschlagenen Fenstern des prächtigen Gefährts. Im Takt des getragenen Glockenspiels schluchzen sie noch einmal auf. Abschied von der Heimat, der brennenden Stadt und den gellenden Sirenen. Fort aus dem Kriegsgebiet, das seit Monaten linksreihnisch verheerende Spuren hinterlässt. Es ist der stürmische Beginn einer beschwerlichen Fahrt in Zeiten des Krieges. Sie führt durch eine Vielzahl deutscher Kleinstaaten nach Potsdam, und rndet letzendlich in Berlin.

Es wird eine schicksalhafte Reise für die siebzehnjährige Prinzessin Luise von Mecklenburg-Strelitz. Sie soll einmal Preußens Königin werden. König Friedrich Wilhelm II von Preußen hat angeordnet, dass seine Söhne Friedrich Wilhelm III und sein Bruder ,Wilhelm Ludwig, heiraten sollen, zu Weihnachten 1793. Aufschub wurde nicht gewährt.
Luise verliebte sich auf den ersten Blick in den Kronprinzen. Sie traf ihn nur einmal während der Belagerung von Mainz, Liebe auf den ersten Blick. Es war um beide geschehen. Die Braut besuchte ihren Prinzen immer wieder, auch heimlich, im Feldlager. Und der verbrauchte Unmengen peußischblauer Tinte die Kleckse auf seinen Garnisonsplänen hinterließen, wähend er ihr täglich schrieb, statt Kriegspläne zu entwerfen.

Luises Schwester, Friederike, zwangsweise mit dem Bruder des Kronprinzen verlobt, ist ein füngzehnjährier, kreuzunglücklicher Teenager. Der eitle Prinz liebt sie nicht, hat sein Herz mehrmals anderweitig verschenkt. Sie sieht dem Ziel mit Bangen entgegen.

Reisebegleiter sind der Vater der Mädchen, Karl von Mecklenburg Strelitz, und der 8-Jährige Junge, der zuletzt aus dem Haus rannte und als Erster in die Kutsche kletterte, der Bruder der Prinzessinnen, Karl von Mecklenburg Strelitz. Die Großmutter, bei der die Halbwaisen behütet aufwuchsen, begleitet die Kinder, die sie liebevoll ‘Mäme‘ nennen.

Die Kutschen erreichen ein dunkles Waldstück. Funzeln kleiner Katen huschen am Wagenfenster vorbei. Trotz guter Polsterung der Kaleschen rumpelt es kräftig. Im Schlaf rutscht der Großmutter der Hut tief ins Gesicht. Schon beginnt der Vater leise zu schnarchen. Luise lächelt, denkt an die unbeschwerten Jahre mit den Geschwistern in Darmstadt zurück und wendet den Kopf. Auf der Rückbank liegt in Decken eingerollt ihr achtjähriger Bruder Karl. Er wird nach den Trauungen der Prinzessinnen mit Großmama nach Darmstadt zurückkehren.
Bald übermannt auch Luise der Schlaf. Sie meint die vertraute Stimme ihres Verlobten zu hören, zu Beginn der Romanze, als er ihr im Frühjahr einen Brief seines Vaters, König Friedrich Wilhelms II, vorlas: „
Frische Fische, gute Fische. Die beiden Engel (die Prinzessinnen) sind, soviel ich sehen kann, so gut als auch schön. Der älteste heirathet die älteste und der jüngste die jüngste. Basta.
Ja, so einfach ist eine Heirat der jungen Mädchen aus der Sicht des preußischen Königs, der selbst nichts anbrennen lässt. Er verstieß seine erste Frau, missachtete die zweite und leistet sich nicht nur eine Geliebte. Sobald ihm eine hübsche Dame von Stand besser gefällt, heiratet er sie, und zwar ‘zur linken Hand‘, weil die rechte bereits vergeben ist. ‘Als Hahn im Korb‘ wird der König, Neffe Friedrichs des Großen, vom Volk als benannt und als Lüderjahn beschimpft.

In allen Orten erregt die imposante Wagenkolonne Aufsehen. Da hat die noble Verwandtschaft tief in die Tasche gegriffen, wird getuschelt. Auffallend, die feine englische Karosse, in der die Damen sitzen. Flaschengrün, mit leuchtend rotem Untergestell.
Zunächst gab sich der König geizig. Die Großmutter solle doch sehen, wie die Mädchen nach Berlin kämen. Das Haus Hessen besäße doch eine eigene Kutsche. „Kriegszeitzen, Preußen muss sparen!“ … Aufregung in Darmstadt wegen der Antwort des Königs im Hinblick auf das klapprige Kutschenmodells des Darmstädter Adelshauses. Großmama schürzte die Lippen. Was ist wenn die Kutsche zusammenbricht? Prompt bekam sie einen Herzanfall, sank auf ihrer weinroten Chaiselongue zusammen und dachte über den Verkauf des gesamten Darmstädter Familiensilbers nach.
Der König, zunächst missmutig, weil er zuvor von der schönen Tochter des Frankfurter Bankiers Bethmann nach einem Ball eine Abfuhr erhalten hatte, lenkte doch noch ein und zeigte sich plötzlich großzügig.

Inzwischen haben die die Reisenden die Städte Aschaffenburg und Würzburg hinter sich gelassen. Hildburghausen in Thüringen ist das nächste Ziel. Charlotte, Luises Schwester, ist dort Herzogin von Sachsen Hildburghausen. Herzogin, das ist hört sich gut an, doch was bedeutet es genau? Nach der ersten Erleichterung des Brautvaters: „Gott sei Dank, die ist schon mal unter der Haube und hat eine halbwegs gute Partie gemacht!“, folgt die Ernüchterung. Reich ist Herzog Friedrich von Sachsen Hildburghausen nicht, das Geld rinnt ihm wie Sand durch die Finger. Schön ist der Bräutigam auch nicht. Aber er hat einen Herzogtitel, wirkt gutmütig bis verschlafen und ist beim Volk einigermaßen beliebt, denn er hat während seiner Amtszeit nur ein einziges Todesurteil unterschrieben – aus Nachlässigkeit oder mehr aus Faulheit?

Die Großmama mag ihn gar nicht. Er erscheint ihr lüstern und zu emsig auf anderen Gebieten zu sein. Sie ist der Meinung, dass Charlottes Mann von seinen Pflichten lediglich die ehelichen mit großem Eifer betreibe, weil die arme Charlotte nahezu unentwegt „gesegneten Leibes“ ist. Doch Charlotte fügt sich richtet ihr Leben so ein, dass es für sie erträglich wird. Sie leitet literarische Zirkel, singt, und nicht nur der Dichter Jean Paul ist gern gesehener Gast am „Musenhof“ der Herzogin. Häufige Besuche und Feten bedeuten auch, dass viele Augen an der Tafel sitzen und enttäuscht in die nur halb gefüllte, kostbare Suppenterrine aus Meißen blicken. Viele Augen schauen in die Suppe, doch nur wenige Fettaugen blicken zurück. So ist es auch heute.

Die nächsten Ziele sind Erfurt und Weimar. Die schwere Nobelkarosse mit den Bräuten neigt sich in einer steilen Kurve im Dickicht eines Waldes bedrohlich zur Seite, kommt ruckartig zum Stillstand. Ist ein Rad gebrochen? Luise und Friederike schrecken aus dem Schlaf, der sie nach tränenreichem Abschied von ihrer Schwester übermannt hat. „Was ist los?“ Schnarrende Befehlstöne: „Reispässe! Aha, Königliche Hoheiten? Aha! Zertifikat, Passierschein des Hofes, so, so!“, ein respektvolles Räuspern und ein sehr kleinlautes: „Jawoll, jawoll! Wünsche untertänigst gute Weiterreise!“ Neugierig schieben Luise und Friederike die Gardine des Kutschenfensters zur Seite und blicken in eine trostlose Regennacht. Die einzigen Lichtquellen: eine Laterne und das erleuchtete, schmutzige Fenster eines Bruchsteinbaus, das den Grenzposten beherbergt. Dahinter Wald, Wald und nichts als Wald. Der Posten hebt den Schlagbaum, nimmt Haltung an, hält zackig eine Hand an die Hosennaht und die andere an die Uniformmütze. Als er die hübschen Gesichter der Mädchen zwischen den Wagengardinen entdeckt, bekommt er vor Staunen den Mund nicht mehr zu.
Luise und Friederike kichern, sie sind wieder ganz in ihrem Element. Der Trennungsschmerz ist wie weggeblasen. Wie zwei junge Gören, denkt Großmama nachsichtig: Sie werden es schwer genug haben, bei Hofe in Berlin. Sollen sie sich ruhig noch einmal austoben.
„Wie viele Grenzen gibt es eigentlich in diesem Land, Großmama?“ fragt Friederike gähnend. „Euer Onkel Georg ist einmal von Köln nach Königsberg gereist und wurde etwa achtzig Mal kontrolliert! Noch vor drei Jahren gab es in ganz Deutschland mehr als tausend Zollgrenzen, und jetzt, durch den Krieg, wird sich bestimmt wieder etwas ändern.“
Nicht nur wegen der fürchterlichen Rumpelei durch den Thüringer Wald mangelt es Luise an Schlaf, sondern auch wegen des Herzklopfens, sobald sie an ihren Bräutigam denkt. Heimlich holt sie seinen letzten Brief aus der Tasche. Das Papier knistert. Luise möchte nicht, dass Friederike ihn sieht, denn Friederike ist traurig, weil sie selten Nachrichten von ihrem Verlobten bekommt. Es ist zu dunkel in der Kutsche, um lesen zu können, doch Luise kennt den Text schon auswendig. Sie schließt die Augenlider und träumt von ihrem letzten Rendezvous in Darmstadt.

Friedrich Wilhelm richtete sie auf, als sie am 16. Oktober 1793, dem Todestag Marie Antoinettes, verzagt im schwarz verhangenen Salon auf Großmamas weinroter Chaiselongue saß. Unter Tränen vertraute sie ihm an, dass sie den zahlreichen Anforderungen, die der preußische Hof an sie stelle, nicht gerecht werden könne. Sie sei zu jung und unerfahren und fürchte sich vor den strengen Königinnen, der uralten Witwe Friederichs des Großen, Königin Friederike. Auch vor den Schartheken, den hochnäsigen, verlebten Hofdamen, die mit Argusaugen und übergroßen Lupen jeden ihrer Schritte beobachten würden, hoffend auf einen Fauxpas des jungen Kükens, der Landpomeranze aus Darmstadt.
„Papperlapapp“ hat der Prinz gesagt. „Keine ist mehr dazu geeignet, meine Frau zu werden als du, meine liebe Luise! Ich gestehe, ich bin ärgerlich, weil ich nicht die Befriedigung habe, Sie nach Berlin zu begleiten und Sie dort ganz rechtmäßig als meine liebe kleine Frau einzuführen.“
So ist es. Denn der König befiehlt, dass sein Sohn rheinabwärts weiterhin für das Vaterland kämpft. Fatal, fatal! Eines der Lieblingswörter des wortkargen Kronprinzen. Frech kritisierte er die neu eingetroffenen steifen Brautportraits der Prinzessinnen: Avez-vous jamais vü quelqe chose d'ossi abominable? (Haben Sie jemals so etwas Schreckliches gesehen?) Aber nichts kann mich trösten als Sie, weil mein Herz bei Ihnen ist! Das ist auch die Inschrift seines Verlobungsfächers, den die etwas vergessliche Luise so oft verliert. Häufig muss der Prinz neue Fächer für sie anfertigen lassen.

Erfurt liegt hinter ihnen. Die nächste Station ist Weimar. Schlagartig werden die Reisenden wach. Es lärmt und rumpelt fürchterlich! Ein Blick aus dem Fenster reicht, um die Ursache zu erkennen. Eine Straße mit grobem Kopfsteinpflaster. Hinzu kommt die Geschwindigkeit, mit der die Pferde ihre Hufen aufs Pflaster schlagen, zusätzlich irritiert durch Blasorchester und lärmende Zuschauer. Der Wagen prescht auf ein Schloss aus dem 17. Jahrhundert zu. Schon wittern die Pferde einen geräumigen Stall und einem gut gefüllten Hafertrog.
Aufregung macht sich im Innern der Kutsche breit. Die Reisegesellschaft ist zu Gast beim Landgrafen Karl August von Sachsen Weimar und seiner Frau Luise, einer Nichte der Großmama.
Hell scheint die Wintersonne in die Gesichter der Reisenden, die allesamt derangiert wirken. Luises Bruder und der Brautvater sind am muntersten. Sie wechseln sich während der Fahrt ab, steigen auf den Kutschbock und führen interessante Gespräche mit dem Kutscher im heimatlichen Dialekt. Die frische Luft und die Abwechslung hält sie munter. Doch die Damen? Lockengespenster. Entsetzt über ihren Anblick im Handspiegel zupfen sie hier und da an den Frisuren. Es ist hoffnungslos. Die Mädchen setzten einfach eine Bieberfellkappe mit Goldquasten und Bändern auf ihre wirren Locken. Fürsorglich zupfen sie an Großmamas Perücke, die wie ein verwildertes Vogelnest wirkt und schräg ins Gesicht gerutscht ist. Die Lösung ist auch hier eine reich dekorierte, pompöse Haube. Eine Samtrose peppt den Kopfputz auf, denn schon naht unter Hochrufen das Garde-Reiterregiment des Weimarer Hauses.
Diese Reise, „Traumreise der Prinzessinnen“ im Volksmund, gleicht einem Volksfest. Hunderte umsäumen in jedem Ort den Straßenrand. Kinder knicksen und reichen Sträuße in die Kutschen, Blaskapellen dröhnen und machen Pferde scheu. Tannengrün über Hauseingängen und einladendes Kerzenlicht hinter Fensterscheiben. Herzlichkeit und großer Jubel als Willkommensgruß.
So ist es auch hier. Hausherr Herzog Karl August von Sachsen Weimar, bekleidet mit hellen Beinkleidern und samtener Joppe schreitet die Freitreppe hinunter. Er ist ein guter Freund der Familie, doch heute wirkt er bedrückt. Sein Bruder, Constantin von Weimar ist seit wenigen Wochen tot, starb nicht im Kampf, sondern an der Ruhr, in einer modrigen Erdhöhle im Feldlager. Des Erdhölen müssen sich die Soldaten in der Winterzeit als Unterkünfte herrichten. Unterkühlung und Erschöpfung führen in den Feldlagern zu tödlichen Epidemien.

Charmant erinnert der Gastgeber Luise an ihren Besuch im Feldlager Bodenheim im Mai 1793, als er mit seinem Freund und Kriegsberichterstatter Goethe, damals noch relativ unbeschwert, über den Mangel an Spargel und Bier klagte. Luise schickte ihm daraufhin prompt die Köstlichkeiten in des Herzogs komfortable unterirdische Behausung. In der anheimelnden Feldküche ließen es sich der Herzog und Goethe gut gehen. Doch inzwischen zeigt der Krieg sein grauenvolles Gesicht, seine todbringende Maske aus eisiger Kälte. Seine Gattin, Nichte des verstorbenen Mannes der Großmama, wirkt still, sieht leidend auf die Besucher. Depressionen plagen sie. Liegt es daran, dass ihr Gatte in seinem bisherigen Leben mehr Zeit als Kriegsheld in Feldlagern mit seinem Freund Goethe, als mit ihr verbrachte? Oder steht sie stets im Schatten ihrer berühmten Schwiegermama, der Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar, die wegen ihres kulturellen Engagements allseits geliebt und bewundert wird?
Am nächsten Tag geht’s auf nach Leipzig und Dessau. Im Dessauer Theater sind an dem Abend die Rollen vertauscht. Die Prinzessinnen sind die Stars und die Schauspieler spielen nur Nebenrollen.

21. Dezember 1793: Ein eiskalter Morgen. Der gefrorene Boden knirscht unter den Rädern des Brautwagens, der eine achttägige Fahrt hinter sich hat. Die Reisenden schauen staunend in märchenhaft stille Landschaften. Sie passieren Wälder, im Raureif erstarrt, Tannen, deren einst grüne Nadeln vereist, Wiesen, die von glitzernden Kristallen übersät sind.
Eisblumen auf erfrorenen Seen. Sonnenstrahlen blitzen, sprühen Funken auf eisglatten Flächen. Krächzende Krähen, kreisen, erfolglos auf Nahrungssuche am blauen Morgenhimmel.
Die Reisenden sind fasziniert. Nichts würde besser zu diesem Tag passen als ein hell leuchtender Wintermorgen. Luise und Friederike haben vor Aufregung gerötete Wangen und bestürmen Vater und Großmutter mit Fragen, denn schon bevölkern sich Wege und Straßen. Das er Jubelgeschrei vom Vortag steigert sich. Als die Sonne hinter den Dächern versinkt, hält die Kutsche an.
Die preußische Grenze ist erreicht, der Schlagbaum geht auf und ein Reitercorps in mecklenburgischen und preußischen Farben galoppiert heran. Unter den schmetternden Tönen von sechzehn Postillions und aufbrausendem Jubel zahlreicher Zuschauer passiert das Gefährt die die Dorfstraße des verträumten Örtchens Baumgartenbrück. Und da preschen sie schon heran, die feschen Reiter der berühmten Garde du Corps, um den Brautwagen zu eskortieren. Hell erleuchtete Fenster und begeisterte Menschen. Luise und Friederike laufen Tränen über die Wangen, vor Aufregung, Glück und Erschöpfung.

Um 18.00 Uhr, bei Einbruch der Dunkelheit, hält der Brautwagen vor dem märchenhaft erleuchteten Potsdamer Stadtschloss. Ein historischer Moment. Nur noch wenige Minuten, bis zur Begrüßung der Bräute.
Mit klopfendem Herzen eilt Friedrich Wilhelm auf die Kutsche zu und drückt sehr, sehr lange seine Luise, an seine, mit Orden geschmückte Brust.

Wie ein Rausch sind die folgenden Tage in Berlin und Luises erstem Fauxpas. Sie beugt sich aus der Brautkutsche und dankt ergriffen einem kleinen Blumenmädchen, das ein Gedicht vorträgt. Spontan umarmt sie es, gibt dem Kind einen Kuss auf die Stirn. Da erstarrt Oberhofmeisterin Voß zur Salzsäule: „Mein Gott, was haben Ehrwürdige Königliche Hoheit getan? Das ist gegen Anstand und Sitte! „Wie, ich darf das nicht mehr tun?“, antwortet die Gescholtene freimütig und selbstbewusst.

Doch die Hochzeit am Heiligen Abend 1793 ist, abgesehen von der feierlichen Zeremonie, ist für die Braut enttäuschend. Nach preußischem Brauch werden Spieltische herangerückt. Es wird gezockt, und gespielt, was die Börse hergibt. Ausrufe der Freude und des Verdrusses alter Haudegen. Doch nicht genug, Fackeltänze nach alter preußischer Tradition folgen und stehlen dem Paar die ersehnten kostbar vertrauten Stunden. Und dann öffnet sich doch das Brautgemach, aber da ist noch die Sache mit dem Strumpfband. Die ganze Gesellschaft wartet darauf, dass die Oberhofmeisterin Voß, wachend vor dem Hochzeitszimmer, Luises Strumpfband triumphierend in die Höhe hält, als Zeichen, dass die Ehe vollzogen ist.
„Fatal, fatal!“, zürnt der Bräutigam. „Ich werde diese alten Zöpfe abschaffen, Fackeltänze, verstaubte Perücken und den unsinnigen Strumpfbandbrauch!“ Da machen sich die Brautleute im Schlafgemach einen Spaß daraus, Luises Strumpfband mit Freuden viermal durchzuschneiden. Sie zählen: „Eins für die Königin, eins für den König, eins für die alte Königin und ein Viertel für die strenge Voß, die ‘Gottseibeiuns.“ Die eben Genannte streckt, vor dem Schlafgemach stehend, die Hand aus, empfängt erstaunt die vier „Strumpfbandreliquien“ und ruft aus: „Oh, das ging aber fix.“

©Barbara Stewen 2020