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‘Aufbruch nach Preußen in stürmischen Zeiten‘.Die Brautreise Der Prinzessin Luise von Mecklenburg –Strelitz während der Koalitionskriege im Jahr 1793. Nacht in Darmstadt. Ein schmallippiger Mond, versteckt hinter Wolken, wirft fahles Licht auf das Darmstädter ‘Alte Palais‘, einen repräsentativen Adelssitz. Flatternde Taschentücher aus beschlagenen Kutschenfenstern, wie Flügelschläge weißer Tauben, die sich im rauchgeschwärzten Nachtimmel verlieren. Unüberhörbar das Rattern der Kaleschen, die, vom Palais kommend, durch die Kopfsteingassen poltern. Die Klänge des Glockenspiels der Stadtkirche mit der klagenden Melodie “Oh Jesus meine Zuversicht“ begleiten die Reisenden zum Stadttor hinaus. Die Karossen nehmen Fahrt auf in Richtung Würzburg. Schemenhaft die Frauengesichter hinter den beschlagenen Fenstern des prächtigen Gefährts. Im Takt des getragenen Glockenspiels schluchzen sie noch einmal auf. Abschied von der Heimat, der brennenden Stadt und den gellenden Sirenen. Fort aus dem Kriegsgebiet, das seit Monaten linksreihnisch verheerende Spuren hinterlässt. Es ist der stürmische Beginn einer beschwerlichen Fahrt in Zeiten des Krieges. Sie führt durch eine Vielzahl deutscher Kleinstaaten nach Potsdam, und rndet letzendlich in Berlin. Es wird eine schicksalhafte Reise für die siebzehnjährige Prinzessin Luise von Mecklenburg-Strelitz. Sie soll einmal Preußens Königin werden. König Friedrich Wilhelm II von Preußen hat angeordnet, dass seine Söhne Friedrich Wilhelm III und sein Bruder ,Wilhelm Ludwig, heiraten sollen, zu Weihnachten 1793. Aufschub wurde nicht gewährt.
Luises Schwester, Friederike, zwangsweise mit dem Bruder des Kronprinzen verlobt, ist ein füngzehnjährier, kreuzunglücklicher Teenager. Der eitle Prinz liebt sie nicht, hat sein Herz mehrmals anderweitig verschenkt. Sie sieht dem Ziel mit Bangen entgegen. Reisebegleiter sind der Vater der Mädchen, Karl von Mecklenburg Strelitz, und der 8-Jährige Junge, der zuletzt aus dem Haus rannte und als Erster in die Kutsche kletterte, der Bruder der Prinzessinnen, Karl von Mecklenburg Strelitz. Die Großmutter, bei der die Halbwaisen behütet aufwuchsen, begleitet die Kinder, die sie liebevoll ‘Mäme‘ nennen. Die Kutschen erreichen ein dunkles Waldstück. Funzeln kleiner Katen huschen am Wagenfenster vorbei. Trotz guter Polsterung der Kaleschen rumpelt es kräftig.
Im Schlaf rutscht der Großmutter der Hut tief ins Gesicht. Schon beginnt der Vater leise zu schnarchen.
Luise lächelt, denkt an die unbeschwerten Jahre mit den Geschwistern in Darmstadt zurück und wendet den Kopf. Auf der Rückbank liegt in Decken eingerollt ihr achtjähriger Bruder Karl. Er wird nach den Trauungen der Prinzessinnen mit Großmama nach Darmstadt zurückkehren.
In allen Orten erregt die imposante Wagenkolonne Aufsehen. Da hat die noble Verwandtschaft tief in die Tasche gegriffen, wird getuschelt. Auffallend, die feine englische Karosse, in der die Damen sitzen. Flaschengrün, mit leuchtend rotem Untergestell.
Inzwischen haben die die Reisenden die Städte Aschaffenburg und Würzburg hinter sich gelassen. Hildburghausen in Thüringen ist das nächste Ziel. Charlotte, Luises Schwester, ist dort Herzogin von Sachsen Hildburghausen. Herzogin, das ist hört sich gut an, doch was bedeutet es genau? Nach der ersten Erleichterung des Brautvaters: „Gott sei Dank, die ist schon mal unter der Haube und hat eine halbwegs gute Partie gemacht!“, folgt die Ernüchterung. Reich ist Herzog Friedrich von Sachsen Hildburghausen nicht, das Geld rinnt ihm wie Sand durch die Finger. Schön ist der Bräutigam auch nicht. Aber er hat einen Herzogtitel, wirkt gutmütig bis verschlafen und ist beim Volk einigermaßen beliebt, denn er hat während seiner Amtszeit nur ein einziges Todesurteil unterschrieben – aus Nachlässigkeit oder mehr aus Faulheit? Die Großmama mag ihn gar nicht. Er erscheint ihr lüstern und zu emsig auf anderen Gebieten zu sein. Sie ist der Meinung, dass Charlottes Mann von seinen Pflichten lediglich die ehelichen mit großem Eifer betreibe, weil die arme Charlotte nahezu unentwegt „gesegneten Leibes“ ist. Doch Charlotte fügt sich richtet ihr Leben so ein, dass es für sie erträglich wird. Sie leitet literarische Zirkel, singt, und nicht nur der Dichter Jean Paul ist gern gesehener Gast am „Musenhof“ der Herzogin. Häufige Besuche und Feten bedeuten auch, dass viele Augen an der Tafel sitzen und enttäuscht in die nur halb gefüllte, kostbare Suppenterrine aus Meißen blicken. Viele Augen schauen in die Suppe, doch nur wenige Fettaugen blicken zurück. So ist es auch heute. Die nächsten Ziele sind Erfurt und Weimar. Die schwere Nobelkarosse mit den Bräuten neigt sich in einer steilen Kurve im Dickicht eines Waldes bedrohlich zur Seite, kommt ruckartig zum Stillstand. Ist ein Rad gebrochen?
Luise und Friederike schrecken aus dem Schlaf, der sie nach tränenreichem Abschied von ihrer Schwester übermannt hat.
„Was ist los?“
Schnarrende Befehlstöne: „Reispässe! Aha, Königliche Hoheiten? Aha! Zertifikat, Passierschein des Hofes, so, so!“, ein respektvolles Räuspern und ein sehr kleinlautes: „Jawoll, jawoll! Wünsche untertänigst gute Weiterreise!“
Neugierig schieben Luise und Friederike die Gardine des Kutschenfensters zur Seite und blicken in eine trostlose Regennacht.
Die einzigen Lichtquellen: eine Laterne und das erleuchtete, schmutzige Fenster eines Bruchsteinbaus, das den Grenzposten beherbergt. Dahinter Wald, Wald und nichts als Wald.
Der Posten hebt den Schlagbaum, nimmt Haltung an, hält zackig eine Hand an die Hosennaht und die andere an die Uniformmütze. Als er die hübschen Gesichter der Mädchen zwischen den Wagengardinen entdeckt, bekommt er vor Staunen den Mund nicht mehr zu.
Friedrich Wilhelm richtete sie auf, als sie am 16. Oktober 1793, dem Todestag Marie Antoinettes, verzagt im schwarz verhangenen Salon auf Großmamas weinroter Chaiselongue saß.
Unter Tränen vertraute sie ihm an, dass sie den zahlreichen Anforderungen, die der preußische Hof an sie stelle, nicht gerecht werden könne. Sie sei zu jung und unerfahren und fürchte sich vor den strengen Königinnen, der uralten Witwe Friederichs des Großen, Königin Friederike. Auch vor den Schartheken, den hochnäsigen, verlebten Hofdamen, die mit Argusaugen und übergroßen Lupen jeden ihrer Schritte beobachten würden, hoffend auf einen Fauxpas des jungen Kükens, der Landpomeranze aus Darmstadt.
Erfurt liegt hinter ihnen. Die nächste Station ist Weimar.
Schlagartig werden die Reisenden wach. Es lärmt und rumpelt fürchterlich! Ein Blick aus dem Fenster reicht, um die Ursache zu erkennen. Eine Straße mit grobem Kopfsteinpflaster. Hinzu kommt die Geschwindigkeit, mit der die Pferde ihre Hufen aufs Pflaster schlagen, zusätzlich irritiert durch Blasorchester und lärmende Zuschauer. Der Wagen prescht auf ein Schloss aus dem 17. Jahrhundert zu. Schon wittern die Pferde einen geräumigen Stall und einem gut gefüllten Hafertrog.
Charmant erinnert der Gastgeber Luise an ihren Besuch im Feldlager Bodenheim im Mai 1793, als er mit seinem Freund und Kriegsberichterstatter Goethe, damals noch relativ unbeschwert, über den Mangel an Spargel und Bier klagte. Luise schickte ihm daraufhin prompt die Köstlichkeiten in des Herzogs komfortable unterirdische Behausung.
In der anheimelnden Feldküche ließen es sich der Herzog und Goethe gut gehen.
Doch inzwischen zeigt der Krieg sein grauenvolles Gesicht, seine todbringende Maske aus eisiger Kälte.
Seine Gattin, Nichte des verstorbenen Mannes der Großmama, wirkt still, sieht leidend auf die Besucher. Depressionen plagen sie. Liegt es daran, dass ihr Gatte in seinem bisherigen Leben mehr Zeit als Kriegsheld in Feldlagern mit seinem Freund Goethe, als mit ihr verbrachte?
Oder steht sie stets im Schatten ihrer berühmten Schwiegermama, der Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar, die wegen ihres kulturellen Engagements allseits geliebt und bewundert wird?
21. Dezember 1793: Ein eiskalter Morgen. Der gefrorene Boden knirscht unter den Rädern des Brautwagens, der eine achttägige Fahrt hinter sich hat. Die Reisenden schauen staunend in märchenhaft stille Landschaften. Sie passieren Wälder, im Raureif erstarrt, Tannen, deren einst grüne Nadeln vereist, Wiesen, die von glitzernden Kristallen übersät sind.
Um 18.00 Uhr, bei Einbruch der Dunkelheit, hält der Brautwagen vor dem märchenhaft erleuchteten Potsdamer Stadtschloss. Ein historischer Moment. Nur noch wenige Minuten, bis zur Begrüßung der Bräute.
Wie ein Rausch sind die folgenden Tage in Berlin und Luises erstem Fauxpas. Sie beugt sich aus der Brautkutsche und dankt ergriffen einem kleinen Blumenmädchen, das ein Gedicht vorträgt. Spontan umarmt sie es, gibt dem Kind einen Kuss auf die Stirn. Da erstarrt Oberhofmeisterin Voß zur Salzsäule: „Mein Gott, was haben Ehrwürdige Königliche Hoheit getan? Das ist gegen Anstand und Sitte! „Wie, ich darf das nicht mehr tun?“, antwortet die Gescholtene freimütig und selbstbewusst. Doch die Hochzeit am Heiligen Abend 1793 ist, abgesehen von der feierlichen Zeremonie, ist für die Braut enttäuschend. Nach preußischem Brauch werden Spieltische herangerückt. Es wird gezockt, und gespielt, was die Börse hergibt.
Ausrufe der Freude und des Verdrusses alter Haudegen. Doch nicht genug, Fackeltänze nach alter preußischer Tradition folgen und stehlen dem Paar die ersehnten kostbar vertrauten Stunden.
Und dann öffnet sich doch das Brautgemach, aber da ist noch die Sache mit dem Strumpfband. Die ganze Gesellschaft wartet darauf, dass die Oberhofmeisterin Voß, wachend vor dem Hochzeitszimmer, Luises Strumpfband triumphierend in die Höhe hält, als Zeichen, dass die Ehe vollzogen ist.
©Barbara Stewen 2020
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