Nachtspaziergang .

Es rauscht im Blätterwald, es tönt aus den Nachrichten: Sind Deutschlands Straßen nicht mehr sicher? Unruhe macht sich breit. Ist das beabsichtigt? Gibt es in unseren Städten vermehrt Bedrohung durch ‘fremde‘ Gestalten? Wer sind die Bedroher, die für Schlagzeilen sorgen und diese verbreiten? Wie sehen sie aus? Erkenne ich sie im Dunkeln?

Ich ziehe mich warm an, mache mich tapfer auf den Weg. Nein, ich stecke kein Messer in die Tasche, das ist verboten. Ich schaue mich vorsichtig um, denn die Straßenlaternen in unserer Straße gleichen Funzeln mit spärlichem Schein, die den Schatten nicht erhellen und Gefahren erkennen lassen. „Ist mein Handy vielleicht eine Waffe, oder der spitz zulaufende Haustürschlüssel?“, frage ich mich. „Vielleicht ist doch etwas dran an der Aussage, über gefährliche Stadtspaziergänge, die viel Staub aufwirbelten. Etwas bleibt immer stecken nach nicht spezifizierten, vieldeutigen, aber sehr verschwommenen Warnungen.“
Ich atme durch.
Stille in den Straßen, warme Lichter hinter geschlossenen Gardienen. Frieden hinter den Fenstern der Mitbewohner und Nachbarn dieses Ortes, aus dem In- und Ausland.

Ich erschrecke. Ein Moped kracht an mir vorbei und verschwindet im Abendnebel. Dann wieder Stille. Kein Wunder, ich wohne in einem Dorf mit 2000 Seelen, hinzukommen die Bewohner der nahe gelegenen Gemeinde Lindlar mit etwa 21 600 Bürgern.

Ich lege einen Schritt zu. Eisiger Wind, aber absoluter Friede in den Straßen. Auf einer Wiese das Muhen einer Kuh, die jetzt Zuflucht im Stall sucht, der am Ende eines Grundstückes schemenhaft zu erkennen ist.
Ich mache eine Kehrtwende, gehe ebenfalls heim und setze mich vor den PC. Ich erforsche, was in den letzten Wochen nachts in Köln und den Großstädten des Ruhrgebiets für Aufsehen, ja sogar für Entsetzen sorgte. Habe ich etwas nicht mitbekommen?
Was ist der Zweck der verbreiteten Unruhe, den Nachrichten aus allen Kanälen, die, vor allem für Frauen, von nächtlicher Bedrohung künden? Schlagzeilen, die in den Städten zur Aufruhr bis hin zu Demonstrationen führen? Müssen wir Frauen ‘beschützt‘ weden?
Wer bedroht, und wer fühlt sich in seiner bürgerlichen ‘Ruhe und Ordnung‘ bedroht?
Ist es gefährlicher geworden in deutschen Großstädten?
Ich denke da auch an die letzten Fälle von Angriffen und Tritten auf Obdachlose, an Anzünden von Schlafsäcken; BänkeN oder Zelten Wohnungsloser in der Nacht – von deutschen Tätern.

Wären ausländische Bürger die Täter, wir wüssten es längst.

Haben wir nicht schon als Kinder gesungen: „Wer fürchtet sich vorm schwarzen Mann“? Hier handelt es sich um ein Spiel, bei dem Kinder schon damals, in den NS - Nachkriegs-Fünfzigern, vor dem „schwarzen Mann“ davonliefen.
Waren es zu der Zeit nicht auch die Flüchtlinge, die schief angesehen wurden, obwohl sie nicht anders als wir aussahen. Welche Gefahr ging von ihnen aus?
Die genauen Liedtexte variierten. Eine häufiger Variation war: „Wer hat Angst vorm schwarzen Mann? Niemand, niemand! Der schwarze Mann kommt leis heran, hat gar keine Schuhe an“, ja und die Flüchtlinge trugen welche mit Löchern.

Er ist also gefährlich, der schwarze Mann. Er oder ‘es‘ schleicht sich an. Ist es das Fremde, das wir nicht kennen und fürchten, weil wir Vorurteile haben? Steckt da so ein Anti-Gen in uns, das weiter vererbt und wieder auftaucht, wenn es wirtschaftlich eng wird, wenn wir teilen müssen?

In dem westfälischen Dorf, in dem ich mit meiner Familie Heimat gefunden hatte, wohnte, gab es einen Gutsbesitzer, der aus dem Kriegszug eine verarmte, polnische Gräfin – Janina - mitbrachte, aus Dankbarkeit, weil sie ihn vor den Russen versteckte und dadurch sein Leben rettete: Ein Märchen? Nein! Eine traurige Geschichte. Denn Janina kam aus Polen und war eine Fremde. Ein anderes Wort war im Umlauf: ‘Polackin‘.
Was geschah?
Es begann mit einem leisen Summen am Wirtshaustisch, das sich zu einer Melodie formte und dann lauter wurde: „Janina kam aus Po-o-len, mit Stiefeln ohne So-h-o-len, fiederallalla, fiederallalla, fiederallalla …“ , oder „Rot und Blau, Polacksfrau.“
Das Liedchen wurde natürlich naiv von uns Kindern übernommen und auf der Straße getanzt und gesungen. Schamröte steigt mir ins Gesicht, wenn ich daran denke, an das ‚Verspotten einer Fremden‘, die nie heimisch wurde unter den Dorfbewohnern, die damals nicht über den Zaun schauten und uns die Gastfreundschaft nicht lehrten.

Ist es heute anders? Lernen wir daraus. Lernen wir sie doch kennen, unsere Mitmenschen, ganz gleich welcher Nation und Herkunft. Es lohnt sich. Und: Suchen wir nicht immer die schlechten Erbsen in den Vorratsdosen anderer, wenn die Suppe nicht schmeckt. Schauen wir selber in uns hinein, und zwar recht tief.

Was sagt die Statistik?
Nein, Statistik ist nicht immer langweilig, sie kann auch aufschlussreich sein:
In ‘Mediendienst Integration‘ finde ich: „Die Migration nach Deutschland hat die Kriminalität in den letzten 20 Jahren nicht erhöht. Die Zahl der Ausländer stieg seit 2005 um über 70 Prozent, während die Kriminalitätsrate im gleichen Zeitraum um etwa 14% zurückging. Bis zur Corona Pandemie gingen Straf- und Gewalttaten zurück und stiegen danach wieder an, lagen aber 2024 immer noch mit 11,7 % unter dem Niveau des Jah-res 2005.
Was die Gesellschaft jedoch sehr gefährdet, ist internationale, brutale Kriminalität, Drogen- und Bandenbildung über die Grenzen unseres Staates hinaus, aber nicht unser Nachbar von nebenan.

Fazit: Respekt und Menschlichkeit sind der Vorschuss, den wir jedem Menschen, der in unserer Gesellschaft lebt, gewährleisten sollen.

© Barbara Stewen 2025